Ich stehe Aldo Berti etwas kritischer gegenüber.
Dieses Interview gibt wieder, wie man es machen sollte, aufgrund der gemachten schmerzvollen Erfahrungen – aber nicht, wie Berti selber es angegangen ist. Ich habe seinerzeit seinen Blog studiert, denn ich bin selber eine leidenschaftliche Weitwandererin, ich gehe mehrmals im Jahr Touren von 3 Tagen und mehr, eine pro Jahr von mindestens 1 Woche Dauer. Wir biwakieren in den Wäldern und haben unsere Nahrung bei uns. Ich ging, ehe die Warze unter meinem rechten Fuss so richtig zu schmerzen angefangen hat, Strecken von 180 oder 250 Kilometern zu 70% barfuss, und das auf oft widrigen Untergründen. Dadurch, dass ich einen Hund hatte, wusste ich von Anfang an, dass Barfuss um jeden Preis nicht unbedingt das Gelbe vom Ei ist, und wusste auch, dass sich vieles ändert, wenn man einen Rucksack mit Ausrüstung und Proviant für mehrere Tage am Rücken hat. Ich habe so ganz allmählich, ohne Druck durch Sponsoren, die Erfahrung gemacht, dass man vor allem zu Beginn bei Schotter keinesfalls übertreiben darf. Lieber die Sandalen mal zu viel als zu wenig anziehen. Die Füsse danken es mit schneller Regeneration und je länger man unterwegs ist, desto weniger braucht man dann die Sandalen. Gehe ich zu Beginn eines Trekkings eine Etappe mehrheitlich mit Sandalen, brauche ich diese nach einigen Tagen kaum mehr, vorausgesetzt, die Füsse bekommen Abwechslung: immer nur auf Teer oder Schotter ist für die Sohlen sehr ermüdend. Hat man übertrieben, hält man am nächsten Tag manche Untergründe nur schwer aus. Es ist vorgekommen, dass ich daher ohne mit der Wimper zu zucken meine Notschuhe angezogen habe, um über einen Boden zu gehen, den ich am Vortag problemlos barfuss bewältigt hatte - einfach, weil es zu viel gewesen wäre. Es ist ein feines Austarieren, was geht und was nicht geht. Manchmal muss man über seine Grenzen gehen, um zu erkennen, wo sich diese aktuell befinden, und man muss immer wieder «die Grenzen kitzeln», um sie zu erweitern. Aber sie dauerhaft überschreiten? Das schadet, wie man bei Aldo Berti sehr schön sehen kann.
Vor allem als Barfussbeginner hat man damit oft zu kämpfen, dass man seinen Füssen und den Fußsohlen vor lauter Freude und Ungeduld zuwenig Erholung gönnt. Und je länger man barfuss geht, desto mehr realisiert und akzeptiert man, dass forcieren wenig bringt. Aldo Berti musste diese Lektion auf harte Tour lernen. Er hat seine Tour geplant, ehe er ernsthaft mit Barfuss wandern angefangen hat. Aus seinem Blog geht hervor, dass er die klassischen Anfängerfehler gemacht hat. In Sachen Wandern beispielsweise hat er viel zu lange Trainingstouren unternommen anstatt langsam gesteigert,und das auch zu spüren bekommen. Zudem hatte er viel zu schweres Gepäck. In Sachen barfuss hat er die Bedürfnisse der Füsse viel zu wenig berücksichtigt: Barfuss um jeden Preis, mit langen und festgelegten Etappen. Auf seiner „Rekord“-Strecke war Schotter nicht zu knapp zu erwarten. Wegen der Sponsoren konnte er dann wohl an den Etappenlängen nicht mehr viel ändern, um sich den Füssen und den örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Er hat sich aus der Affäre gezogen, indem er dann vorzugsweise auf Teerstrassen gewandert ist.
Das Interview zeigt klar, dass er sich zu viel zugemutet hat, er leidet immer noch unter Schmerzen. Auch Martl Jung erging es ähnlich: Er sagt ja selber, dass er die Alpenüberquerung nicht mehr so machen würde – er würde Notschuhe im Gepäck haben und je nach Gegebenheiten auch anziehen, zu sehr hat er seine Füsse beansprucht.
Müssen es denn immer Weltrekorde sein?! Muss man medienwirksam was Extremes wagen, anstatt auf seinen Körper zu hören? Sowas kann auch abschreckend wirken…
Ich mag derlei „Barfuss-Weltrekordversuche“ auch aus anderen Gründen nicht so, auch wenn der karitative Gedanken daran natürlich den Wanderer ehrt. Es gibt nämlich Leute, die erheblich weiter am Stück barfuss gewandert sind und es nicht als Weltrekord verkaufen müssen! Es gibt mehrere Leute, die den 3500 Kilometer langen Appalachian Trail in den USA barfuss absolviert haben.
Als ich 1996 den Jakobsweg von Le Puy bis Santiago gewandert bin, habe ich einen Barfusswanderer getroffen, der aus Belgien nach Santiago barfuss unterwegs war, ohne Unterbrechungen. Das waren bestimmt deutlich mehr Kilometer als Aldo gegangen ist, Poul hat seinen Weg nur nicht ins Guinness-Buch eintragen lassen. Er wanderte je nach Untergrund plusminus 20 Kilometer am Tag. Er hatte keine Notschuhe dabei und extrem leichtes Gepäck, um seien Füsse nicht zu sehr zu beanspruchen. Für die kurzen Etappen habe ich ihn damals belächelt, heute als Barfussläuferin weiss ich, er hat absolut richtig gehandelt. Denn auf dem Jakobsweg gibt es sehr viele unangenehme Schotterwege. Dieser Mann hat sich also seinen Grenzen und den Umständen angepasst. Kleinere Etappen langsam gegangen, seinen Körper respektierend. Für mich ist er ein grösseres Vorbild als Aldo, so sympathisch dieser auch erscheinen mag, und so sehr er in dem Interview betont, wie man es machen müsste…
Und vergesst nicht Leute wie Manfred im HBF, der seit Jahrzehnten mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen (Motorradfahren) nicht nur barfuss wandert…
Sorry, lang geworden.
Liebe Grüsse
Dorothea