Hallo Sven, hallo an alle anderen, die dies hier lesen! Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich, auch wenn es draußen kühl und regnerisch ist.
„Meine Füße sind schön!“ - Durch das Thema fühle ich mich spontan motiviert, meine Erinnerungen mit euch zu teilen.
Damals war der Satz allerdings geringfügig anders:
„Deine Füße sind schön!“
Dieser Satz kam von einem atemberaubend gutaussehenden Mann, der damals, Anfang der 80er, in meiner Straße wohnte. Damals, in den Staaten, wo ich mit meinen Eltern lebte, in New Mexico. 1981. Ich war mit dem College fertig und wollte anfangen zu studieren.
Ich war barfuß an dem Tag, mein Vater war auf Reisen, außer Reichweite, um mir zuzurufen: „Jetzt zieh dir endlich Schuhe an!“ Das ewige leidige Thema, der ewige Disput zwischen Vater und Sohn.
Da stand auf einmal dieser toll aussehende Mann plötzlich vor mir, dieser Typ, von dem ich nichts Genaueres wusste, dem ich bislang immer nur verstohlen hinterhergeschaut hatte, weil ich ihn attraktiv fand. Vielleicht nur oberflächlich attraktiv, aber egal.
Es war, glaube ich, auf dem Parkplatz vor einer Shopping Mall. Ein heißer Tag, aber nicht zu heiß für mich, um barfuß über den glatten Beton zu laufen.
Dieser schöne Mann sagte so etwas wie „Du hast wunderschöne Füße, Junge. Griechische Form. Ein unglaublich langer Zeh direkt neben deinem großen Zeh. Das ist faszinierend. Und sehr selten. Darf ich dich fotografieren?“
Ich war natürlich platt, fühlte mich wie überfahren, total überrascht, geohrfeigt. Zum ersten Mal in meinem Leben spricht mich ein Kerl an, und dann noch ein so schöner, und ausgerechnet der, dem ich immer nachgeschaut habe… Feuerwerk im Kopf, Ausnahmezustand.
Einen Tage später klingelte ich an seiner Tür. Naja, nicht ganz, es war nicht sein Zuhause, sondern die Wohnung eines Bekannten. Letzterer war verreist. Ich war barfuß, denn er hatte mich gebeten, ihn ohne Schuhe zu besuchen. Ich stand vor der Tür, drückte auf den Klingelknopf, schaute noch einmal auf meine Füße, mit der „griechischen“ Form - und war aufgeregt. Einfach aufgeregt.
Im Garten tranken wir Eistee. Schauten uns an. Er lächelte verführerisch, wusste vermutlich genau, dass er mich in dem Moment schon um den Finger gewickelt hatte, und er war sich vermutlich seiner Sacher sehr sicher. Wusste, ich war Wachs in seinen Händen. A living toy. The boy next door ready to be devoured.
In den US-Kitschfilmen heißt das für gewöhnlich „My first crush“. Ja, und er war mein erster Crush, mein erster und heftigster bislang. Mister Handsome. Mister Everything. Mister BrokenHeart.
Joseph, so war sein Name, stellte sein Glas ab, stand auf, holte aus dem Flur seine Spiegelreflexkamera und bat mich, meine Füße zu positionieren. Im Gras, auf dem Stuhl, verschiedene Posen wurden ausprobiert.
„Ich hab ein Faible für Füße, und du hast wunderschöne Füße und bist außerdem ein zuckersüßes Kerlchen. Und dich würde ich gerne spüren.“
So ähnlich waren die Worte. Ich war geschmeichelt, überrumpelt, überfordert, aufgeregt, alles zugleich. Ich bekam die erste zärtliche Fußmassage meines Lebens, von einem Mann. Er hielt meinen rechten Fuß in seinen Händen, wie einen verletzten Vogel, massierte meine Fußsohlen und küsste meine Zehen. Das war wohl einer der Momente, in denen für einen Menschen die Zeit stehen bleibt. Es hätte eine Bombe im Garten direkt neben mir einschlagen können, ich hätte vermutlich wenig davon mitbekommen.
Ein paar Stunden später wachte ich in Josephs Armen auf. Fühlte mich, als hätten mich Außerirdische entführt und nach ein paar Stunden wieder frei gelassen, unverletzt, unversehrt, aber unendlich verwirrt.
Ich war verliebt. Im Nebel. Verwirrt und verliebt.
Ich hatte eine aufregende Zeit mit Joseph, in diesem Sommer. Aufregend deshalb, weil diese wenigen Monate von Juni bis Oktober für mich ein Wechselbad der Gefühle waren. Hoffen, Sehnen, Bangen. Schreibt er mir? Ruft er mich an? Wo ist er gerade? Fühlt er das Gleiche wie ich?
Da war dieses Brennen in der Kehle. Dieses trockene Gefühl im Mund. Die Bowlingkugel im Bauch. Dann die Schmetterlinge, wenn er vor mir stand. Seine Nähe, seine warme Haut, sein Geruch, seine Zärtlichkeit. Und diese dämliche Spiegelreflexkamera Marke Canon, die immer dabei war, wenn wir uns sahen. Hin und wieder machte Joseph Ganzkörperaufnahmen von mir, doch waren es größtenteils Bilder meiner Füße. Meine nackten Füße von allen Seiten, meine Zehen, meine Fußsohlen, meine Füße mit und ohne Nagellack, mit und ohne Fußkettchen. Meine Füße, wie sie über heißen Beton gehen, meine Füße mal mit kurzen, einmal auch mit langen Nägeln. Das Geräusch der Kamera, Klick hier, Klick da. Und zur „Belohnung“, so empfand ich das, Josephs Zärtlichkeiten, seine Nähe, der Sex, den ich als das Dessert unserer ersehnten Treffen wahrnahm. Dann der kleine Tod in mir, kurz vorm Abschied. Das Brennen in der Kehle. Die feuchten Augen.
Irgendwann mal kam der Oktober. Der Bekannte war zurück, unser Treffpunkt, mein Ort der Sehnsucht, wurde „entweiht“. Keine Treffen mehr im Floating Gardens - so hieß die Wohnanlage damals.
Ein Treffen bei Joseph zu Hause…? Unmöglich.
„Tut mir unendlich leid“, sagte er. Ich müsse das verstehen, wir müssten vorsichtig sein. Seine Frau, seine Kinder. Das Übliche, was Toy Boys wie ich für gewöhnlich zu hören bekamen, wenn sie abserviert wurden. Wenn der zuckersüße Loverboy nach einem guten Vierteljahr seine Pflicht getan hat, seine Pflichten vor der Kamera, seine Pflichten im Bett.
Ich habe die ersten paar Wochen gelitten wie ein Hund. Der Mann war nur einen Steinwurf entfernt, aber ich konnte ihn nicht sehen. Ich war in der Zeit zu Hause, musste mich irgendwie aufs Studium vorbereiten, einige Dinge geregelt kriegen … befand mich auf einem anderen Planeten. Und immer wieder dieser Satz… „Deine Füße sind schön.“
Die Leute haben wohl recht, wenn sie sagen, die Zeit heilt alle Wunden. Die ersten Jahre traf dies für mich nicht zu, weil die Erinnerung an Joseph immer wieder neu weh tat, auch wenn der Schmerz immer wieder neue Facetten hatte - und irgendwann an Stärke verlor.
„Don’t you get burned“, sagte mir ein guter Freund. Gut gemeint, aber nutzlos, sorry.
Die Jahre gingen ins Land. Ich verließ die Staaten, studierte Deutschland zu Ende und fand 1987 hier meine erste Anstellung, konnte mich beruflich etablieren. Arbeitete in der Forschung. Das Internet kam. Eine neue, kleine Welt, die mit der Zeit immer größer wurde, auch für mich. Dann mein erster Internet-Anschluss… meine ersten Kontaktversuche mit anderen Männern online, Dating übers Kabel. Whow. Neu und interessant.
Bis ich sie dann online irgendwo mal entdeckte, die Fotos von damals. Meine eigenen Füße, Anfang der 80er Jahre, in einem Garten, in meiner Heimatstadt in New Mexico aufgenommen. Meine Füße auf einem Stuhl, im Gras, eine Blumen zwischen meinen Zehen. Josephs Aufnahmen. Er hatte sie online veröffentlicht, in einem Album erotischer Männerbilder.
Ich war mehr als überrascht, ich würde sagen leicht geschockt, etwas wie geohrfeigt. Damit hatte ich nicht gerechnet. 1998. Ich sitze vorm Bildschirm und sehe meine eigenen Füße. In Bunt, in Schwarzweiß. Eine ganze Fotostrecke. Und die Überschrift: „Deine Füße sind schön.“
Und es waren nicht nur meine Füße…
Ich habe Joseph seit 1981, seit unserem Abschied, nie mehr gesehen.
Vor wenigen Monaten erfuhr ich von ehemaligen Schulfreunden, dass er nicht mehr in der Stadt wohne, dass er ganz weg sei… und vorbestraft wegen mehrfachen Betruges. Sogar im Gefängnis sei er gewesen, für kurze Zeit. Seine Frau habe sich scheiden lassen, die Scheidung habe Joseph ziemlich ruiniert. Er lebe jetzt in Arizona, arbeite in irgendeinem Office, am Wochenende an einer Tankstelle, in einer ziemlich staubigen Gegend.
Ich frage mich, ob ich jemals dort hinfahren werde, um mir den Mann anzuschauen, um zu sehen, was aus ihm geworden ist, wie er aussieht. Um zu schauen, was die Konfrontation mit mir macht.
Der Schmerz ist weg, das kann ich mit gutem Gewissen sagen. Aber die Erinnerung an die Heftigkeit des Schmerzes werde ich nicht vergessen.
Es gibt wahrlich wenige Sätze, die mich tief im Innersten berühren, wenn ich sie jemand sagen höre.
„Deine Füße sind schön“ ist einer davon.
Es tut gut, dies hier zu schreiben. Und sorry, wenn das alles länger geworden ist, als es eigentlich hätte sein sollen.
Herzliche Grüße
FORD