Gestern ging ich durch die Straßen und nach einem so oft gehörten „Warum geht der barfuß?“ (Antwort des Vaters: „Weil er Spaß daran hat“) konnte ich noch einen etwas extravaganteren Ausspruch hören:
Kleiner Junge (Vorschulalter) reißt die Augen auf als ich vorbei gehe und ruft:
Hä?! ist der verrückt?
Als ich wenig später auf Höhe der Eltern war, brüllt der Junge aus vollem Hals:
Der Mann ist verrückt geworden! Der hat keine Schuhe und keine Socken an!
Ich musste so lachen!
Im Nachhinein ärgere ich mich ein wenig, dass ich einfach weiter gegangen bin. Das wäre sicher ein interessantes Gespräch geworden.
„Kindermund tut Wahrheit kund!“ So sagt man. Ich glaube, die Wahrheit ist hier weniger, dass ich tatsächlich verrückt geworden bin (das ist eh klar). Aber es sagt einiges darüber aus, mit welchem Bewusstsein Kinder aufwachsen und wie selbstverständlich das Tragen von Schuhen ist, so dass blanke Füße verrückt erscheinen…
Leider erstreckt sich die verzerrte Wahrnehmung nicht nur auf Füsse (natürlich) vs. Stöckelschuhe (künstlich).
Auch in Sachen Nahrung (als normal gelten oft ungesunde Nahrungsmittel, we gesund isst, wird häufig schief angeschaut) , Respekt gegenüber der Umwelt (Mobilitätsvethalten….), Umgang mit Babies und Kleinkindern (in Wägen befördern und Schnullern ruhigstellen = normal. Natürlich wäre das Tragen und Stillen) usw. ….
Mir fällt auf, dass Dinge als normal gelten, die uns von unserer eigentlichen Natur entfernen.
Eine schöne Geschichte, die mich zu einem meiner Lieblingsthemen bringt, nämlich dem, dass wir alle „verrückt“ werden müssen. Wir müssen ganz viel an unseren Gewohnheiten „verrücken“, d.h. an einen anderen Platz bringen. Im Management-Sprech heißt das „Muster brechen“. Meist bezieht sich das auf höchst Triviales wie z.B. dass man technische Lösungen hinterfragt oder bei der Teamarbeit tatsächlich aufsteht und mit echten Kärtchen an echten Moderationswänden arbeitet. (z.B. Design Thinking)
Das Barfuß-Gehen ist für mich mittlerweile fast schon zum Beispiel geworden, die Denkschemata von anderen Menschen zu hinterfragen: „Oh, du hältst Barfuß-Gehen für ungewöhnlich? Warum denn eigentlich?“
Ich muss mich jetzt nur noch trauen, dies auch in weiteren, offiziellen Zusammenhängen zu realisieren. Eben noch ein wenig „verrückter“ zu werden.
Eine andere Reation: Eine Bekannte meiner Frau aus der Krabbelgruppe kommt mir entgegen, guckt irritiert. Ich grüße sie freundlich. Sie grüßt zurück - immer noch mit Blick auf die Füße. Sagt ansonsten kein Wort.
Die Gedanken sind frei …
oder auch:
Sprechenden Menschen kann geholfen werden.
oder auch:
Wieso weshalb warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!
In solchen Situationen bin ich mir nicht zu schade, mich umzudrehen und laut und deutlich zu antworten. Es geht nicht, dass hinter meinem Rücken getuschelt wird, was sind das für Vorbilder?! Wenn ich lächle und antworte, demaskiere ich erstens die meist seltsamen Begründungen der Eltern und zeige, dass das Hinter-dem-Rücken-tuscheln nicht geht. Ich spreche für mich und ermuntere, sich gleich an mich zu wenden.
In unserer Siedlung die relativ grosse ist wird deutlich hinter meinem Rücken getuschelt. Nicht immer auf die feine Art.
Ein kleiner Junge wagte sich aber dann mal mich alleine zu fragen und sagte „warum bist du eigentlich immer barfuss“?
Ich erklärte ihm das mir das gut tut aber das es nicht immer nur eine Lösung gibt die richtig ist. Manchmal sind auch Schuhe eine gute Option. So wollte ich die Eltern nicht in Verlegenheit bringen und und es diplomatisch formulieren. Seither lacht er mich immer an und beobachtet genau wann ich Schuhe trage (Kälte, Job etc.) und wann nicht. Er hat ne Freude dran.
Freue mich auch immer über Kinder, die mein Barfuß Sein unverblümt kommentieren. Manchen Eltern ist es peinlich, aber dann beachte ich es gar nicht. Manche bewerten es aber auch positiv, und ich freue mich dann. Solange ich nicht direkt angesprochen werde, fange ich aber auch kein Gespräch an, ich möchte nicht lästig sein.
Die andere Variante, die mir sehr häufig passiert ist: „Ich gehe zu Hause auch immer barfuß, auch im Garten. Aber draußen ist es mir zu kalt / zu gefährlich.“
Ich bin mir dann immer etwas unsicher, ob ich einfach nur zustimmen soll oder ob ich zu mehr Mut raten soll.
Ich höre das auch immer wieder. Zustimmen würde ich dem nicht, denn es ist ja nicht zu kalt oder zu gefährlich. Ich mache lieber Mut, indem ich auf die Fragen der Menschen positiv reagiere und z.B. schwärme, wie viele tolle Böden es da draussen gibt, wie gut es dem Rücken und dem Immunsystem tut, dass ich nie mehr Rückenschmerzen habe und kaum krank werde, dass ich mich in der Küche beim Gemüse schnippeln viel öfter verletze als draussen beim Barfusslaufen, und dass die meisten Menschen so positiv reagieren wie sie selber, also jene Menschen, die mit mir gerade über meine Barfüssigkeit reden. Ich merke, dass ich viele Menschen begeistern kann, aber ob sie dann auch wirklich die Schuhe vermehrt weglassen….?! Ich glaube eher nein, denn die meisten sind zu bequem, oder sie ahnen, dass man barfuß zwar verletzlich und angreifbarer wird, wenn man entgegen der realen Gefahren da draussen oder aber auch wider alle gesellschaftlichen Normen auf Schuhe verzichtet. Aber gerade durch diesen Verzicht auf Schutz durch Schuhe und Schutz durch gesellschaftliche Konventionen (sie können nerven und Leid bringen, aber auch Halt und Stabilität) zeigen wir, dass wir selbstsicher und stark sind. Die baren Füsse sind gewissermassen ein Zeichen dieses Selbstvertrauens und dieser Stärke. Und das bewundern die meisten Menschen. Und sehr, sehr viele Menschen haben wohl nicht diese Stärke, zu ihrer Verletzlichkeit zu stehen und genau dadurch eben stark zu sein. Darum gibt es wohl auch nicht viele von uns.
Das allerlustigste ist mir an dem Wochenende passiert… Ich fahre ja immer Frei- oder Samstag so eine kostenlose Werbezeitung aus (480 Stück, ein Radlanhänger voll, hab meine Tochter bei ihrem Nebenjob da zunächst häufig vertreten, aber nachdem sie nun auf Dauer in Berlin ist, hab ich ihr Revier ganz offiziell übernommen - schöner Ausgleichssport).
Ich geh also - barfuß, lange Haare, Rauschebart, mit einem Packen Zeitungen unterm Arm über die Straße, am Radweg braust ein Rennradler vorbei, im Weiterfahren reißt er die Arme hoch und schreit:
Dieser Thread enwickelt sich perfekt dem Titel entsprechend!!
Heute beim Fahrradfahren überholte mich jemand (ja, das kommt mittlerweile ziemlich regelmäßig vor…) und rief mir die altbekannte und äußerst originelle Frage „Schuhe vergessen?“ zu.
Auf mein gelangweiltes „ach das ist soo alt“ fing er furchtbar an zu lachen, offenbar, weil er einsah, wie blöd die Frage war.
Nach 200 Metern musste er an einer Ampel stoppen und sagte mir, immer noch lachend, wie dämlich er sich vorkam. Nett.