Harald aus Wien

Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind gerne barfuß war. Ich glaube, in der Volksschule beim Schulsport barfuß zu sein, war damals in den 1970erm durchaus üblich. Ich weiß aber auch noch, dass ich das sehr genoss. In den Sommerferien blieb ich wohl mitunter wochenlang durchgehend barfuß. Irgendwann fand ich es ganz normal, auch in der Stadt barfuß zu gehen. Ich glaube, damals hatte ich auch dafür einige Vorbilder.
Meine zweite Barfußphase begann als Student. Im Sommer wurden die die Sandalen jetzt oft in den Rucksack gepackt, auf Wanderungen die Bergschuhe an den Rucksack gebunden. Noch ein paar Jahre später entsorgte ich auf einer Reise in Neuseeland die mitgebrachten alten Schuhe und blieb zum ersten Mal ein paaar Wochen wirklich ganz barfuß.
Das Barfußgehen zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Einmal tat ich es mehr, einmal weniger, aber ganz ließ ich es nie bleiben. Im Internet entdeckte ich schon vor über 20 Jahren das Barfußforum, und ich freute mich, dass es da noch ein paar andere gibt, die diese Vorliebe mit mir teilen. Dort, im sogenannten „gelben Forum“, gibt es mittlerweile auch einiges von mir nachzulesen. Mit knapp über 40 hatte ich nach einem Bandscheibenvorfall das Gefühl, dass mir das Barfußgehen auch gesundheitlich gut tat und half, wieder fit zu werden. Von Jahr zu Jahr wurde mein Barfußanteil den Sommer über jetzt wieder größer.
Irgendwann war es gegen Ende eines überwiegend barfüßigen Sommers so weit, dass ich einfach noch mehr wollte. Meine Idee war, es einfach auszuprobieren, einmal ganz ohne Schuhe zu leben. Mir war klar, dass das in dieser Radikalität ein Experiment für eine begrenzte Zeit sein würde. Aber ich war neugierig, wie das ist, wie es sich anfühlt, was es auch mit mir macht. Nach ein paar Tagen kam es mir komisch vor, dass da zuhause immer noch Schuhe herumstanden. Zunächst erschien mir die Idee, die Schuhe jetzt ganz wegzugeben, fast ein bisschen kindisch, aber dann tat ich es doch. Wieder einmal fand ich Bestärkung und Inspiration im Forum. Ich packte alle meine Schuhe in einen Sack, brachte sie jemand zur Aufbewahrung, und lebte einmal ein paar Wochen lang meinen Alltag ganz schuhlos.
Ich liebte diesen Weg der Selbsterfahrung. Für eine Zeitlang die Schuhe ohne Kompromisse wegzulassen, fühlt sich für mich zugleich irrational und befreiend an. Barfüßigkeit ist für mich auch eine Form des Minimalismus, des Weglassens von Dingen, die mich von mir selbst trennen. Nach etwas über einem Monat war es Herbst geworden, ich blieb zwar bewusst auch noch ein paar kühlere Tage bei meinem kompletten Schuhverzicht, aber dann war es mir für’s Erste zu kalt, und ich holte mir wieder meine Schuhe zurück.
Gleichzeitig war mir klar, dass ich dieses Experiment wiederholen würde. Immer wieder gehe ich jetzt wieder ganz ohne Schuhe auf Reisen. Einmal packte ich im Juni die Schuhe weg und lebte über vier Monate komplett barfuß. Nur in den Kofferraum meines Autos hatte ich mir jetzt Skinners für den Notfall gepackt. Wieder fühlte sich das Leben ganz ohne Schuhe wunderbar an. Es gab mir das Gefühl, wirklich nach meinen Bedürfnissen zu leben. Und eigentlich hatte ich selbst nicht gedacht, wie die kompromisslose Barfüßigkeit für mich zwar auf Schritt und Tritt etwas Besonderes sein, aber doch auch gleichzeitig Normalität werden würde, und wie lange mir das tatsächlich Spass machen würde.
Gerade in diesen totalen „Schuh-Auszeiten“ habe ich aber auch gelernt, wo für mich die Grenzen meiner Barfüßigkeit liegen. Es gibt Wege mit Geröll, Felsen, Dornsträuchern, Brennnesseln oder Brombeerranken, wo ich mit Schuhen einfach ein leichteres und manchmal auch sichereres Leben habe. In meinenen ganz barfüßigen Zeiten habe ich gelernt, mich auch damit zu arrangieren. Dann verzichte ich auch schon einmal auf die Tour auf einen schroffen Berg und wandere lieber durch Buchenwälder und auf Wiesenwegen. Aber ich sehe das dann als bewusstes Experiment für eine begrenzte Zeit. Genauso weiß ich, dass es auf einer Reise ganz nützlich sein kann, zumindest minimale Sandalen auszupacken, wenn man barfuß z.B. nicht in ein Museum gelassen wird. Trotzdem will ich mich dann doch immer wieder dem Gefühl der totalen Barfüßigkeit hingeben und wirklich schauen, wo die Grenze ist. Zumindest habe ich auf diese Art gelernt, dass ich viel mehr barfuß machen kann, als ich früher gedacht hätte. Und immer wieder freue ich mich auch über Begegnungen mit Menschen, die meine Barfüßigkeit neugierig macht.
Eine meiner Grenzen ist, dass ich nicht gerne friere. Dabei habe ich wieder gelernt, dass diese Grenze nicht nur von der Temperatur abhängt, sondern auch von der Feuchtigkeit, von meiner Tagesform und von dem, was ich so mache. Im Winter kann ich schon einmal barfuß in den nahen Supermarkt einkaufen gehen, und es macht mir Spass, ein langer Spaziergang im Schnee oder nassen Gras, Herumstehen z.B. am Weihnachtsmarkt oder auch längeres Warten auf die U-Bahn sind für mich dann aber doch mit (mittlerweile praktisch ausschließlich Minimal-)Schuhen besser. Und manchmal, ganz selten, mag ich auch nicht als der einzige Barfüßige auffallen…
Ich bin neugierig darauf, weiter meinen barfüßigen Weg zu gehen. Ich habe vor, auch in Zukunft mit kürzeren und längeren Zeiten ganz ohne Schuhe zu experimentieren. Tatsächlich träume ich manchmal von einem halben Jahr ganz ohne Schuhe…irgendwann, wenn es gerade passt und sich gut anfühlt. Und ich freue mich auch weiterhin auf den Austausch mit anderen Barfüßigen!

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Hallo Harald,

toll, dass Du da bist, herzlich Willkommen hier im Forum :hugs:

Ich finde es bemerkenswert, wie bewusst und achtsam Du Dich über Jahrzehnte hinweg mit dem Barfußgehen beschäftigst. Es zeigt wieder einmal, dass es nicht darauf ankommt, wieviel gemessene Zeit man an einem Stück barfuß geht, um womöglich irgendeinen Rekord aufzustellen. Du hast für Dich herausgefunden, wie es Dir damit geht, was es aus und mit Dir macht und wo Deine fühl- und spürbaren Grenzen liegen.
Du vermittelst genau das Richtige: Barfußgehen soll Spaß machen, uns ein Stück weit zu uns selbst finden und eine Bereicherung für das Leben sein.

Danke für diese offene und ausführliche Vorstellung von Dir :pray:
Ich wünsche Dir, dass Du Dich in diesem Forum wohl fühlst und hier auch weiterhin Inspiration und Motivation findest.

Herzliche Grüße
Eva

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Willkommen Harald! Danke für den außergewöhnlichen und abenteuerlichen Bericht über dein Barfußleben! Lernen, wo die Grenzen der Barfüßigkeit liegen: das finde ich ein sehr guter Gedanke. Man wird nie auslernen, weil sich die Grenzen mit der Zeit verschieben.

Liebe Grüße
André

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Lieber Harald,

vielen Dank für Deine ausführliche Vorstellung! Das ist ein reizvolles Konzept, zu versuchen, ganz ohne Schuhe zu leben, allerdings ist es gut, dass du es dabei nicht übertreibst und achtsam mit deinen Grenzen umgehst!

LG
stromkabelsalat

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Hallo Harald

Ich freue mich sehr, Deine intelligenten, besonnenen und inspirierenden Beiträge nun auch hier lesen zu können. Ich finde es immer wieder spannend, wie Du Dich immer weiter vortastest, ausprobierst, Experimente macht, und damit genau merkst, was Dir gut tut und was weniger. Für mich hatten im Gelben Deine Beiträge immer Vorbildcharakter, weil Du geniessest, auf Dich hörst, nichts übers Knie brichst und doch einfach mal radikale Experimante machst und Schuhe weggibst.
Und ich freue mich, wenn ich lesen kann, dass Du ein halbes Jahr barfuss warst!

Liebe Grüsse
Dorothea

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Hallo Harald, danke für Deine ausführliche und so lebendige Vorstellung! Ich freue mich, dass Du hier dabei bist und Deine große Erfahrung einbringst!
Herzliche Grüße
Georg

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Mit reichlich Verspätung möchte ich mich für all die herzlichen Begrüßungen bedanken!
Und eigentlich habe ich schon wieder zu berichten, dass ich dabei bin, zu experimentieren, Grenzen auszuloten und noch den einen oder anderen Schritt weiter zu gehen… Ich denke, dass für mich im Winter in Sachen Barfüßigkeit noch viel mehr möglich ist, als ich das bisher getan habe. Das probiere ich gerade aus, die letzten Tage bei einem Kurzurlaub in und um Prag.
Das milde Wetter seit Weihnachten bietet eine wunderbare Gelegenheit, und man kann es als eine Art von Neujahrsvorsatz sehen. Es tut einfach gut und ich bin neugierig wie immer bei meinen Barfußexperimenten.
Ausführlichere Berichte werden kommen. Jetzt einmal barfüßige Grüße aus einem Zug in Südböhmen!

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