Mich bringen gewisse Aussagen von Euch darüber, warum Ihr barfuss seid, zum Nachdenken.
„Bürgerschreck“, „normal ist langweilig“, „konsequent alles, was Mainstream ist, in Frage stellen“… Und genau das erlaube ich mir nun: ich wage es, genau diesen Aussagen zu hinterfragen.
In Barfuesslings Vorstellungsthread habe ich bereits einige Fragen aufgeworfen:
Muss man äusserlich anders sein wollen, nur weil angeblich „normal“ = langweilig? Was ist denn überhaupt normal? Viele hier wünschen, dass Barfuss normaler wäre, dass wir z.B. weniger Restriktionen erfahren. Aber wenn Barfuss zur Normalität gehört, wird es dann nicht auch wieder langweilig?!
Aus den eingangs zitierten Aussagen lese ich, dass ein Wunsch zu bestehen scheint, sich irgendwie von der Masse abzuheben. Aber muss es denn durch barfuss geschehen? Jeder Mensch ist doch einmalig, egal ob barfuss, dick, dünn usw. Wenn man barfuss ist, um sich vom Mainstream abzuheben oder denselben in Frage zu stellen, kann man das nicht auch durch eine innere Haltung erreichen?! Ist das nicht eine Frage des Bewusstseins der eigenen Einmaligkeit, die man hat oder eben nicht? Die interessantesten, einmaligsten und am unabhängigsten denkenden Menschen, die ich kenne, sind jedenfalls nicht barfuss.
Und: ist „normal“ nicht manchmal auch etwas Tröstliches in der Hektik des Alltags…?!
Ich für mich kann sagen, ich möchte nicht auffallen. Ich bin einfach barfuss, weil es zu mir gehört wie meine braunen Haare. Ich habe immer schon hinterfragt, schon ehe ich barfuss war. Ich musste nicht Barfüsslerin werden, um zu hinterfragen, und ich habe es nicht nötig, meine Mitmenschen durch meine Barfüssigkeit mitzuteilen „seht her, ich hinterfrage alles!“ - beinahe wie eine Fahne vor mir hertragend. Ich bin, wie jeder Mensch auch, ein einmaliges Wesen. Auch das brauche ich nicht extra durch meine Barfüssigkeit zu betonen. Barfuss gehört wie gesagt zu mir. Es macht aber höchstens einen kleinen Teil meiner Einmaligkeit aus.
Ich war immer schon anders - bedingt durch meine Neurodiversität. Ich möchte daher nicht noch mehr auffallen. Darum brauche ich es nicht, extra durch nackte Füsse auf mein Anderssein hinzuweisen oder geltende Normen in Frage zu stellen. Ich empfinde Normal auch als sehr wohltuend…
Hallo, liebe Dorotgea.
Deine Gedankengänge zwingen mich geradezu ein paar Worte von mir zu geben.
Ich für meinen Teil will eigentlich gar nicht unbedingt und mit aller Gewalt anders sein. Ich BIN es eben einfach. Und das in vielerlei Hinsicht. Es gibt immer den normalen Weg etwas zu erreichen. Und es gibt den meinen. Meist komplizierter aber auch zielführend. Wahrscheinlich bin ich eben etwas umständlicher unterwegs als eigentlich nötig wäre.
Trotzdem finde ich es langweilig alles auff die Weise zu tun, wie es mir andere Leute vorleben. Vielleicht bin ich für andere ebenso langweilig. In jedem Falle aber bin ich manchmal mit meinen Mitmenschen inkompatibel, so wie eine falsche Schlauchkupplung am Gartenschlauch, die nicht mit dem Wasserhahn zusammen geht.
Und meine Barfüßigkeit hat auch nicht unbedingt mit dieser zur Schaustellung dessen, das ich anders bin zu tun.
Ich bin barfuß weil ich es will. Und auch um zu zeigen, ich laß mir nicht von anderen vorschreiben, wie ich zu sein habe. Man kann es also auch als eine Art Rebellion sehen. Rebellion gegen Vorschriften anderer Leute, die sich herausnehmen gewisse Regeln aufzustellen und diese als gemeingültig zu verkaufen.
Wenn ich es recht bedenke, dann ist die Normalität doch für jeden etwas anderes. Und es gibt leider viel zu viele Leute, die meinen IHRE Normalität sei der Standard, nach dem alles zu gehen hätte.
Also ich bin wie ich bin, und ich bin was ich bin. Vor allem aber bin ich ein Mensch, der seine Niesche gefunden hat und sich darin so gut es geht ausbreitet.
Ich bin - wenn man so will - ein „Rosienenpicker“. Ich klaube mir immer das zusammen was mir Gefällt und erkläre es zu meiner Realität. Ich errichte Mauern um mich, damit mich die Welt mit all ihrer Gewalt nicht zu sehr niederdrückt.
Meine Barfüßigkeit ist kein Protest oder ein Fanal dafür zu zeigen: „Seht her ich bin anders und besser als ihr anderen.“ Nein. Es ist einfach mein Lebensgefühl. Es macht Spaß und fühlt sich einfach gut an. Und bringt mir Freiheit. Oder zumindest ein Gefühl davon.
So, ich hoffe ich hab jetzt nicht zuviel geschwafelt…
Hmm, weil die Vokabel „Bürgerschreck“ i.d.R. von mir genutzt wird (konkret meistens so: „5% Bürgerschreck aka gelebter Nonkonformismus im Motivationsmix“, mein zweiter Textbaustein hier im Forum…).
Ich meine damit natürlich nicht, „ich fasse den Entschluß, heute geh ich mal Leute erschrecken“.
Aber ich akzeptiere das, wenn manche Leute von barfüßligen Mitmenschen im Alltag etwas verstört sein könnten. Im Idealfall sollte es einfach egal sein. Angenehme Scheißegalizität.
Ich habe mein Eingangsposting verfasst, weil mir derlei Aussagen gestern richtiggehend in die Augen gesprungen sind und mich wirklich interessiert, was sich dahinter verbirgt. Schnell ist etwas wie „ich bringe damit zum Ausdruck, dass ich alles in Frage stelle“ rausgehauen, und wer es zum ersten Mal liest, kann sich schnell mal eingeschüchtert oder sogar abgeschreckt fühlen. Daher vielen Dank für Eure Antworten!
So verstehe ich Dich, lieber Barfüsssling, nun viel besser - ich sehe schon, Du und ich gehen aus sehr ähnlichen Gründen und mit denselben Hintergedanken barfuss, und das ist schön zu lesen.
Deine philosophische Frage passt ganz gut zu meinem Beitrag von gestern. Ehrlich gesagt lege ich es nicht darauf an aufzufallen. Ich bin was mein Auftreten und meinen Kleidungsstil anbetrifft ein ziemlicher „Normalo“, aber ich verzichte eben in den allermeisten Situationen auf Schuhe und bin barfuss unterwegs.
Das empfinde ich selbst nicht als etwas Besonderes sondern es ist einfach mein Stil oder meine Vorliebe. Die Besonderheit oder das Auffallen wird mir eher von aussen „aufgedrängt“. Die Blicke oder Kommentare von anderen machen meine Barfüssigkeit zu einer Auffälligkeit. Tatsächlich gefällt mir das nicht wirklich, weil ich meinem Lebensstil viel lieber ohne diese Aufmerksamkeit geniessen würde. Es ist mir eher unangenehm als Barfüssiger Mensch durch Kommentare zur Besonderheit gemacht zu werden. Ich kann inzwischen natürlich damit umgehen, würde mir aber wünschen, dass andere Menschen tolerant mit meiner Vorstellung von Lebensstil umgehen würden. Ich kommentiere auch nicht die Vorlieben von anderen „oh, der raucht in der Öffentlichkeit“ oder „nun, ich würde diese Farbe nicht tragen“ oder so, ich lasse die Menschen einfach sein wie sie sind. Und genau das würde ich auch für mich in Anspruch nehmen, aber irgendwie gibt es irgendwo eine Grenze was akzeptabel und was ausserhalb der Norm liegt. Das ist für mich schwer nachvollziehbar, denn es gibt Verhaltensmuster, die für mich auch unakzeptabel wären, aber ich halte mich dennoch zurück, aber andere Menschen gestehen sich zu, mein Erscheinungsbild lautstark zu kommentieren. Das ist durchaus seltsam. Ich finde es zum Beispiel komisch, dass es noch Menschen gibt, die in der Öffentlichkeit rauchen oder trinken, aber ich kommentiere das nicht, da dies in der allgemeinen Wahrnehmung als „OK“ gilt. Aber genauso würde ich erwarten, dass meine Barfüssigkeit (die natürlich niemanden stört) als „OK“ akzeptiert wird.
Im Endeffekt ist nicht unsere Barfüssigkeit das „Problem“ sondern eher die Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft, was akzeptabel ist und was nicht. Und mit Verlaub: diese Normen sind mehr als seltsam und das führt dazu, dass ich mir gegen Blicke und Kommentare ein eher dickes Fell zugelegt habe und die Freiheit geniesse über die „Normabweichungen“ meiner Mitbürger hinwegzusehen und mich eher freue, wie unterschiedlich die Menschen sind.
Hallo Dorothea,
in gewisser Weise wird uns die „Rebellion“ aufgenötigt. Und zwar ganz einfach deshalb, weil „halt niemand barfuß geht, Punkt, basta, aus!“
Da kann es für uns noch so banal oder trivial sein, ohne Schuhe zu leben - in der Wahrnehmung der anderen ist es halt etwas total Besonderes.
Und wenn man diesem Konformitätsdruck widerstehen will, dann braucht man ein gewisses Selbstbewusstsein und letztlich auch die Bereitschaft, eben nicht-konform zu sein.
Denn sonst würden wir halt „Barfußschuhe“ anziehen.
Für mich - und so wie ich verstehe auch für Dich und einige andere - ist ganz einfach der Leidensdruck des beschuhten Daseins wesentlich größer (sprich der Drang, ohne Schuhe zu leben) als der Konformitätsdruck der Umwelt.
Das für mich Frappierende ist: Da können Leute mit den mutigsten Piercings, Tattoos, Haartrachten oder zerlöcherten Klamotten rumlaufen - das ist alles viel weniger Provokation als ein superbanaler Verzicht auf Schuhe.
Manchmal denke ich mir: Barfußlaufen ist die letzte ultimative Provokation des Establishments, von dem dummerweise, diejenigen, die barfuß laufen, gar nichts bemerken und es auch gar nicht beabsichtigen.
Liebe Grüße
Georg
mir hilft bei derartigen Fragen mir klarzumachen, dass Menschen einander auf sehr unterschiedliche Weise unterstützen können. Nach einem Modell, das ich ganz hilfreich finde, kann man 8 Arten der Unterstützung unterscheiden:
Motivieren
Stimulieren / Inspirieren
Helfen
Begleiten
Beschützen
Beurteilen
Kritisch Beobachten
Konfrontieren
Spontan würden die meisten Menschen vielleicht vermeintlich selbstlose Handlungen wie etwa „Helfen“ oder „Motivieren“ besonders hoch bewerten. Aber wenn man ehrlich zu sich selber ist, dann wird man sicher auch Situationen finden, wo man im Nachhinein sehr dankbar ist, dass einen jemand mit etwas konfrontiert hat, was einem vielleicht zunächst ungewohnt oder unangenehm war, aber einem gerade dadurch zum Nachdenken verholfen hat und es einem dann vielleicht leichter gemacht hat, die eigene Komfortzone zu verlassen und wichtige neue Erfahrungen zu machen. Und manchmal kann eine Konfrontation auch umgekehrt dazu führen, dass man zwar nichts an seinem eigenen Verhalten ändert, aber danach klarer und bewusster sagen kann, warum man sich so verhält und nicht anders.
Will sagen: der oder diejenige, der oder die mich mit etwas konfrontiert, ist erst einmal per se nichts Böses.
Problematisch wird es erst, wenn man seine eigene bevorzugte Art der Unterstützung als die einzig Mögliche betrachtet. Dann isoliert man sich oder man wird isoliert.
Was bedeutet das in Bezug auf das Barfußlaufen? Ich denke, das kann man eben nur individuell sagen.
also ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber bei mir ist der Schuhverzicht allein eher weniger auffällig, aber meine Zehenringe wirken scheinbar derart verstärkend, dass es mir auffällt. Zudem ist meine private Kleidungswahl auch nicht unbedingt versteckend - ich trage eben gerne viel Farbe und unübliche Formen. Damit verfolge ich aber keine spezielle Agenda, sondern es gefällt mir einfach farbenfroh zu sein; genau wie das insbesondere taktile gute Gefühl beim Barfußgehen.
Ansonsten gibt es Normalität ja eigentlich auch nur in statistischer Betrachtung (Konformität mit der überwiegenden Mehrheit der Menschen) bzw. in der Einhaltung gesellschaftlich anerkannter Normen (Konformität mit der vorherrschenden sozialen Meinung) - also nur in der Mengenbetrachtung. Jeder Einzelne ist sowieso immer anders als alle anderen (sogar eineiige Zwillinge sind nicht zu 100 % identisch).
Auffallen - durch Barfüßigkeit oder andere Merkmale bzw. Verhaltensweisen - ist somit oftmals nicht das Motiv sondern nur eine Folge des eigenen Handelns. In meinem Fall: ich mag barfußgehen, Fußschmuck und bunte fröhliche Kleidung sowie zuweilen Schellen oder Glöckchen am Knöchel. Das dient dabei jedoch nicht dem Zweck, dass andere Menschen mich wahrnehmen. Es gefällt mir einfach - und nur das ist der Grund.
Die Menschen da draußen brauchen mich nicht und somit auch nicht die Wahrnehmung meiner Person. Aber sie müssen damit leben, dass jemand wie ich nicht alle gesellschaftlichen Normen bedient. Und damit kann ich wiederum gut leben.
Da kam was falsch rüber, Manfred. Du bist für mich nur in einer einzigen Hinsicht „dogmatisch“: dass du Schuhe total ablehnst und sie ausser auf dem Motorrad nicht mal in Situationen zulässt, in denen andere längst ihre Notschuhe rausholen. Das ist OK - ausser wenn Du auf jene runterschaust, die nicht ganz so konsequent sind und die pragmatisch denken. Dann IST es dogmatisch. Manche Deiner Aussagen können so rüberkommen, sind aber vermutlich nicht so gemeint. Insofern ist „dogmatisch“ nicht das richtige Wort.
In eine ähnliche Richtung gehen einige andere Aussagen anderer, weswegen ich diesen Thread aufgemacht habe. Was verbirgt sich zwischen manchen oft verwendeten und auf Aussenstehende (sogar bisweilen auf mich selber) durchaus radikal wirkenden Aussagen mancher Barfüssiger wirklich? Ich bin neugierig und möchte es gern ergründen. Und bin beruhigt: da ist viel weniger Dogmatismus, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Sondern vielmehr sehr viel sehr differenzierte Reflexion. Das ist schön zu erfahren in Zeiten, in denen so viel polarisiert wird. Danke allen, die sich Zeit genommen haben, mir zu antworten.
vielen Dank für diese Klarstellung! Ich habe tatsächlich auch im ersten Moment gedacht, dass Manfred einer der dogmatischsten Barfüßer ist, die ich kenne. Aber das stimmt gar nicht. So wie Manfred es erklärt hat, ist es durchaus ein Unterschied, ob man für sich selbst konsequent barfuß lebt oder dogmatisch auch anderen etwas vorschreiben möchte. Klar wollen wir alle auch andere davon überzeugen, es öfter zu tun, aber da gibt es wohl diese feinen Unterschiede, wie man das angeht und wie es nach außen rüberkommt.
Ich glaube, wir alle hier - oder zumindest fast alle, kommen für die normale (=der Norm entsprechenden, also Schuhe tragenden) Außenwelt ziemlich extrem rüber. Dabei ist es unerheblich, ob man einfach barfuß in der Stadt rumspaziert oder ohne Schuhe über die Alpen geht. Das wirkt auf „normale“ Menschen beides ziemlich unvorstellbar. Dreck, Scherben, Hundesch***, Dornen, Schotter, Kies, Kälte… Hilfe!
Deswegen finde ich es auch wichtig, wie man sich anderen gegenüber präsentiert, um nicht als extremer Freak rüberzukommen und im positiven Sinne Werbung zu machen, ohne missionarisch zu wirken. Weniger zeigen, was man selbst alles kann (fällt mir schwer!) und mehr darauf eingehen, was sich andere vielleicht zutrauen können, um sie zum Nachmachen zu animieren. Dazu gehört auch, dass man „Barfußschuhe“ nicht verteufelt, sondern eine Chance darin sieht, mehr Akzeptanz zu erlangen und sich schrittweise ans Barfußgehen heranzutasten. Dass eines Tages alle barfuß gehen, ist utopisch!
Verständnis für sein Gegenüber ist das Wichtigste, sich in den oder die andere hineinversetzen. Das hilft in allen Lebenslagen. So könnten alle gut miteinander auskommen. Klingt so einfach, warum machen es so wenige?
Es ist doch so: Natürlich freue ich mich wenn ich bei anderen durch mein
Vor-Leben (nicht „Vorleben“ ) Interesse daran wecke. Viele kommen ja erst gar nicht auf die Idee weil es eben in unserer Gesellschaft so „normal“ ist dass man Schuhe trägt.!
Und wenn ich dann angesprochen werde - manchmal auch erst mal mit negativer Notation - dann freue ich mich wenn ich etwas auslöse, möglicherweise Vorurteile abbauen kann - und hin und wieder diese Freude sogar rüberbringen und zu einem eigenen Versuch anregen kann.
Und in einigen Fällen ist mir das durchaus gelungen!
Und manchmal höre ich auch , meist mit einem Seufzer: „Das haben wir als Kinder auch immer gemacht!“
Dann kommt prompt meine Gegenfrage: „Und was hindert sie heute daran?“
Und falls nicht, wenn jemand dann für sich zu der Erkenntnis kommt „Ist nichts für mich“, dann ist es doch auch in Ordnung!
Neues wagen, neugierig bleiben - adäquat zu meiner Einstellung zum Essen:
Ich probiere immer gerne Neues, Unbekanntes in Restaurants, denn:
Der schlechteste Fall ist nicht das es nicht schmeckte. Dann bin ich um eine (einmalig negative) Erfahrung reicher.
Der schlimmste (un-) denkbare Fall wäre: Ich hätte es nicht bestellt, es wäre aber eine tolle Erfahrung geworden und die hätte ich nun mein ganzes künftiges Leben (!) lang verpasst…